Thesen zum touristischen Arbeits- und Bildungsmarkt

Arbeitslosigkeit im Sommer gesenkt

Die Arbeitslosigkeit im Gastgewerbe nahm im Sommer erstaunlicherweise ab. Ein Grund dafür war, dass die meisten Schweizer Reisenden trotz Wirtschaftskrise über eine hohe Konsumlust sowie über genügend Geld verfügten. Während des Lockdowns wurde zwangsgespart, da es an Konsummöglichkeiten gemangelt hat. Das half dem Schweizer Tourismus – vor allem in den Berggebieten.
Ein weiterer Grund liegt in der beschränkten Verfügbarkeit von ausländischen Arbeitnehmenden, die trotz unsicherer Aussichten zu einer Aktivierung des Schweizer Humankapitals geführt hat und die Arbeitslosigkeit im Gastgewerbe sinken liess. (In Anlehnung an Michael Siegenthaler, ETH Zürich)

Arbeitslosenquoten
Quelle: KOF, ETH-Zürich

Kurzarbeit zeigt kurzfristig Wirkung

Die überraschend positive Entwicklung der Arbeitslosigkeit im Sommer lag aber auch an der Kurzarbeit. Mit dieser Massnahme konnte eine abrupte Entlassungswelle im Frühjahr verhindert werden. Dies wird durch Entwicklungen in Ländern ohne diese Massnahme unterstrichen. Durch die Kurzarbeit wurde eine gewisse Flexibilität an Arbeitnehmenden geschaffen, die üblicherweise durch ausländische Saisoniers sichergestellt wird. Die Betriebe benötigten auch nach den Lockerungsschritten einen gewissen Teil der Arbeitnehmenden, um auf die wiedererwachte und teilweise verstärkte Nachfrage der Gäste in den Berggebieten mit Angeboten reagieren zu können. (In Anlehnung an Michael Siegenthaler, ETH Zürich)

Konsumausgaben
Quelle: KOF, ETH-Zürich

Kurzarbeit langfristig kein Allheilmittel

Kurzarbeit ist längerfristig kein Allheilmittel. Sie kann helfen kurzfristige Nachfrageinbrüche zu überbrücken, aber ist kaum hilfreich um längerfristige Nachfragerückgänge abzufedern. Gerade das Gastgewerbe in den Städten ist durch das vermehrte Homeoffice, die digitalen Meetings sowie den ausbleibenden Fernmarkt-Gästen stark und längerfristig betroffen.
Im Tour Operating bezogen auch im Sommer nach wie vor über 50% der Beschäftigten Kurzarbeit. Da die Erholung klar länger andauert und die Substanz der Betriebe bereits vor dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie angeschlagen war, ist deren Resilienz tiefer. Eine Entlassungswelle ist insbesondere wegen einer 2. Welle sehr wahrscheinlich. (In Anlehnung an Michael Siegenthaler, ETH Zürich)

Kurzarbeit
Quelle: KOF, ETH-Zürich

Besondere Gefährdung gastgewerblicher Betriebe und deren Arbeitnehmenden in der 2. Welle

Die erste Welle konnte mit der Substanz der Betriebe sowie mit weitreichenden finanzpolitischen Massnahmen überbrückt werden, obwohl das Gastgewerbe hart betroffen war. Bei der 2. Welle dürfte dies aber kaum möglich sein. Betriebsschliessungen und steigende Arbeitslosigkeitszahlen zeigen sich bereits im Oktober. Einer von drei Betrieben sah sich bereits vor der Beschleunigung der 2. Welle in seiner Existenz bedroht. Daher kann davon ausgegangen werden, dass sich die Auswirkungen durch den nun folgenden Verlust von Betrieben noch 3-4 Jahre auf dem Arbeitsmarkt zeigen werden. (In Anlehnung an Michael Siegenthaler, ETH Zürich)

Existenzbedrohung
Quelle: KOF, ETH-Zürich

Gefahr von Strukturabbau und Verlust gesunder Betriebe

Oft wird das Argument des strukturbereinigenden Wandels angeführt, um auch in Krisen die Steuerung dem Markt zu überlassen. Von einem Strukturwandel innerhalb des Tourismus kann aber nur gesprochen werden, wenn nicht nur Stellen verloren gehen, sondern auch neue geschaffen werden. Ansonsten kommt es zu einem Strukturabbau, wie dies bspw. im Tour Operating zurzeit zu erwarten ist. Zudem ist unklar, ob in Rezessionen ein produktivitätssteigernder Strukturwandel stattfindet. Belegt ist hingegen, dass Entlassungen in Rezessionen bei den betroffenen Arbeitnehmern viel grössere Narben hinterlassen als Entlassungen im Aufschwung. Die wirtschaftspolitische Maxime der ersten Welle, die Wirtschaft einzufrieren, damit sie nach dem Lock- und Slowdown wieder in gleichen Strukturen hochgefahren werden kann, steht weiterhin zur Debatte. Es stellt sich allerdings die Frage, zu welchem «Preis» wir das anstreben können. (In Anlehnung an Michael Siegenthaler, ETH Zürich)

Mikrobetriebe besonders gefährdet

Die Abfederung des Nachfrageschockes wird zu einem guten Teil durch die Kurzarbeit und die Arbeitslosenversicherung aufgefangen. Zusätzlich wird mit Jobcoaching, Weiterbildung oder Weitervermittlung primär den angestellten Arbeitnehmenden Unterstützung geboten - nicht so den vielen Selbstständigen im Tourismus oder die Arbeitnehmenden auf Abruf mit unbefristetem Arbeitsverhältnis. Obwohl diese sich an die Arbeitslosenversicherung beteiligen, können sie kaum Leistungen beziehen. Die Folge sind Existenzängste, sozialer Abstieg und wenig Innovationsgeist. Die Selbstständigen sind jedoch entscheidend, denn sie tragen viel Risiko und die Digitalisierung wird wahrscheinlich zu einer Vergrösserung der beiden Pole „grosse globale Unternehmen vs. kleine lokale Mikrounternehmen“ führen.

Homeoffice wird salonfähig - Peripherie profitiert

Die erzwungene Homeoffice-Situation hat viel Umstellung benötigt, aber auch dessen zukünftiges Potenzial aufgezeigt. 80% der Unternehmen, die während der Krise diese Arbeitsform ermöglicht haben, möchten diese fortführen. Homeoffice ermöglich zusätzliches Potenzial für die Berggebiete in der Nebensaison, falls die digitale Anbindung gewährleistet ist. Standortungebundene Arbeit gewinnt an Popularität und ermöglicht ein «Bleisure-Reisen» als neue Form der Incentive-Reisen oder Fringe Benefits. Es kann zu zusätzlicher touristischer Nachfrage in peripheren Gebieten und zu Randzeiten kommen. (In Anlehnung an Intervista, UBS-Studie vom 09.07.2020)

Neue Organisations- und Führungsprinzipien erhöhen den Druck

Neue moderne Organisationsprinzipien mit neuartigen Aufgaben für agile, cross-funktionale Teams können zu einer dynamischen und innovativen Unternehmenskultur führen. Der Tourismus wird mit seinen KMUs und eher hierarchischen Führungsverständnissen dabei stark in der Weiterentwicklung gefordert sein. Zudem kann es zu einer Spaltung der Belegschaft kommen, indem Mitarbeitende mit Bürojobs diese im Homeoffice erledigt möchten, was wiederum für die vielen Front-Mitarbeitenden speziell im Tourismus nicht möglich ist. Der Tourismus ist und bleibt ein People Business. Bei mangelnder Flexibilität der Unternehmen steigt der Unmut auch medial (In Anlehnung an Kauffmann 2020 und Frauke von Bieberstein, Universität Bern)

Hohe Nachfrage für touristische Lehrgänge

Die Nachfrage nach einem HF-Studium in Tourismus, Hotellerie und Gastronomie ist zurzeit weiterhin hoch. Covid-19 beschleunigen die Bedeutung des Praxisbezugs und der vermittelten Netzwerke. Die Ausbildungsmodelle und -formen müssen noch modularer, individueller und flexibler werden. Hybrides Lehren und Lernen gewinnen an Bedeutung. Achtsamkeit und Extrameile lauten die Erfolgsrezepte. (In Anlehnung an Hanna Rychener, IST Zürich/Lausanne)
Es kann davon ausgegangen werden, dass die Nachfrage weiterhin hoch ist, denn das Studium an Universitäten, Hochschulen und Höheren Fachschulen stellt eine gute Überbrückungsmöglichkeit dar und die Hoffnung auf bessere Zeiten ist bei Tourismus-Studierenden weit verbreitet.