Thesen zur touristischen Nachfrage

Gewichenes Zukunftsvertrauen

Langjährige touristische Entwicklungen wurden jäh gebrochen. Das Zukunftsvertrauen in eine kontinuierliche Aufwärtsentwicklung ist der Sorge gewichen, ob, wann und wie es mit dem Tourismus weitergeht. Die Einschränkungen wie Betriebs- und Grenzschliessungen oder Quarantäneregelungen sind für viele touristische Leistungsträger eine wirtschaftliche Katastrophe.

Wollen und Können kaum eingeschränkt, nur Dürfen ist beeinträchtigt

Reiseentscheide werden im Kontext einer Dreifaltigkeit von Motivation (Wollen), Ability (Können) und Opportunity (Dürfen) gefällt.

Reiseentscheide
Quelle: Universität St. Gallen, IMP-HSG

Das Volumen der touristischen Nachfrage ist zurzeit nur leicht reduziert: Urlaubs-Wollen (aufgrund fehlender Reiselust oder Angst vor Ansteckungen) und Urlaubs-Können (aufgrund fehlendem Geld oder Zeit) gingen nur leicht zurück. Potenziell ist die Nachfrage nach touristischen Leistungen trotz allem gross. Angebote, die sich tatsächlich verlässlich auf dem Markt befinden, finden ihre Kunden.

Reise-Können und -Wollen
Quelle: ReiseAnalyse 2021, FUR

Das touristische Reisevolumen wurde und wird im Wesentlichen wegen fehlender Möglichkeiten eingeschränkt. Die Möglichkeit, dass die Nachfrage wegen einer hohen Zahl an Erkrankten oder Verstorbenen reduziert wird, spielt praktisch keine Rolle.

Massiver Buchungseinbruch bei den OTAs

Die monatlichen Buchungszahlen brachen zwischen April und Mai massiv ein und erholten sich erst im Juni wieder leicht. Die Buchungen verharren seither bei mindestens minus 60% im Vergleich zum Vorjahr. Auch kulante Stornierungsbedingungen können Buchungen bisher nicht entscheidend erhöhen. (In Anlehnung an Roland Schegg, HESSO)

OTA Einbruch
Quelle: seetransparent.com

Unabsehbare Massnahmen als grösste Barrieren

Die aktuellen Barrieren für den Tourismus ergeben sich in erster Linie aus den vielfältigen, regional unterschiedlichen, häufig wechselnden und deshalb unabsehbaren Quarantänebestimmungen der Behörden.

Vielfältige Reisepläne trotz grosser Unsicherheit

Die Reisepläne sind trotz grosser Unsicherheiten vielfältig: Nur 16% der deutschen Bevölkerung planen für den Sommer 2021 keine Urlaubsreise.

Urlaubspläne
Quelle: ReiseAnalyse 2021, FUR

Ein- und Selbstbeschränkungen werden länger anhalten

In der ersten Phase der Lockerungen steht die Frage im Zentrum: Wieviel müssen Reisebeschränkungen gelockert werden, damit Reisen wieder ermöglicht werden.
Nachdem die Reisegelegenheiten (Dürfen) wieder gegeben sein werden und das «Unavailability-Set» kleiner geworden ist, werden in der zweiten Phase endogen getriebene Ein- und persönliche Selbstbeschränkungen greifen. Diese dürften langanhaltender sein. Motivation (Wollen) dient hier immer auch als Funktion zum Ausgleich von kognitiver Dissonanz. Sprich: wenn jemand nicht reisen kann oder darf, wird auch die Motivation entsprechend angepasst. (In Anlehnung an Christian Laesser, Universität St. Gallen)

Meiden von touristischen Massen

Der Sommer 2020 hat gezeigt, dass Touristen in der Tendenz touristisch eher wenig frequentierte Zonen aufsuchen und versuchen, den grossen touristischen Massen auszuweichen. Jedoch fanden sie sich dann plötzlich in eben diesen Massen wieder, weil viele andere ähnliche Überlegungen anstellten.

Stornierung und Geld-zurück-Garantie zentral

Urlaubsmotive und Produktanforderungen ändern sich wegen der Corona-Pandemie nicht. Allerdings gibt es zusätzliche Aspekte, die als Bedingungen hinzutreten: Sie umfassen aktuell vor allem Themen rund um die Buchung und Bezahlung, so etwa die Möglichkeit zur kurzfristigen Stornierung und Geld-zurück-Garantie. Gesundheitsaspekte folgen erst an zweiter Stelle.

Buchungskriterien
Quelle: ReiseAnalyse 2021, FUR

Mehr deutsche Touristen im Winter 2020/21

Wenn wintertouristische Angebote in den Alpen zugänglich sind, wird es dafür eine mindestens ausreichende Nachfrage aus dem Heimmarkt und den Nachbarländern geben. Aus dem deutschen Quellmarkt wird die potenzielle Nachfrage für den Winterurlaub 20/21 im Vergleich zu den Vorjahren tendenziell stärker sein, weil die damit in Konkurrenz stehenden Möglichkeiten, Fernreisen zu machen, weniger in Frage kommen. Dies kann punktuell sogar zu einer überbordenden Nachfrage führen.

Gute Aussichten für Winterdestinationen in der Schweiz

Im Vergleich zu Österreich ist in der Schweiz die Abhängigkeit von ausländischen Touristen generell kleiner und im Winter auch geringer als im Sommer. In Österreich kann die Wintersaison – im Gegensatz zum Sommertourismus – nur begrenzt durch den grösseren Binnentourismus kompensiert werden. Die Bergdestinationen in der Schweiz können mit dem traditionell hohen Binnenmarktanteil und der tendenziell hohen Kaufkraft der inländischen Touristen die geringere Auslandnachfrage relativ gut kompensieren. Voraussetzung ist kein Lock-down sowie die Lenkung und Anpassung der möglichen Aktivitäten: verhindern von Ansammlungen grösserer Gästegruppen sowie mehr Individualangebote in freier Natur. Vor allem Bergbahnen sind gefordert, sich entsprechend anzupassen.

Es kann erwartet werden, dass die Winterdestinationen kurzfristig vermehrt von ‘Zweitbewohnern’ im Homeoffice, Fernreiseersatz-Touristen oder Wintercamping-Gästen besucht werden. Auch steigt die Popularität der Anreise im Auto gegenüber dem öffentlichen Verkehr.

Nachholbedarf nicht zu überschätzen

Trotz vorhandenen (und aufgestauten) Bedürfnissen nach Urlaub und Reisen werden verfügbare Einkommen im Aufschwung eher zur Befriedigung von aufgestauter Nachfrage nach notwendigen Gütern und zur Bildung von Ersparnissen verwendet. Der touristische Nachholbedarf darf nicht überschätzt werden. (In Anlehnung an Ulrich Gunter, MODUL Universität Wien)

Mittelfristige Änderungen im Quellmarktmix

Mittelfristig kann – bei grundsätzlicher Zugänglichkeit der touristischen Angebote – von einer erheblichen Urlaubsnachfrage ausgegangen werden. Ändern wird sich jedoch der Quellmarktmix: Binnen- und Nahmarkttourismus mit einer Reisedistanz von 500-700 km werden an Bedeutung gewinnen. Entscheidend sind die Erreichbarkeit und zu welchem Preis.
Im asiatischen Markt ist die Lust auf Reisen dieses und voraussichtlich auch nächstes Jahr nach Europa sehr beschränkt. Die asiatischen Märkte - sie verzeichneten in den letzten zehn Jahren in der Schweiz ein Wachstum von immerhin 10% jährlich - werden damit vorerst noch weit gehend fehlen und sich erst langsam wieder erholen. Die Erholung wird wohl erst im Jahr 2022 beginnen. (In Anlehnung an Christian  Huser, Schweiz Tourismus)

Veränderte endogene Bedingungen

Die veränderten endogenen Bedingungen werden sich so schnell nicht wandeln. Christian Laesser von der Universität St. Gallen fasst die folgenden Konsequenzen zusammen:

  • Fokussierung im Reiseverhalten aufgrund einer zunehmenden Verwesentlichung: eher weniger, dafür eher länger
  • Individuelle Neu-Priorisierung von Entscheidungskriterien: Neue Must-Haves (Hygiene, Gesundheit, Sicherheit) bei risikobewussten Reisenden
  • Beharrliche Strukturprobleme: Einheimische werden die Schweiz als Reiseland mittelfristig wieder weniger wählen – bekannte Strukturprobleme im touristisch genutzten Alpenraum kehren zurück
  • Runtergefahrene post-pandemische Flugnetze: Erreichbarkeit und Kosten determinieren die Nachfrage noch längere Zeit
  • Kundenwertorientierte Strategie: Strategie «Mehr Wert für gleiches Geld» wird nach den Erfahrungen mit der Pandemie noch vehementer verfolgt werden müssen

Gäste verleihen Nachhaltigkeit nur geringe Schubkraft

Corona wird aus Gästeperspektive der Nachhaltigkeit nur eine geringe Schubkraft verleihen. Es kann jedoch ‚Nachhaltigkeit light‘ erwartet werden, d.h. Nachhaltigkeits-Massnahmen mit unmittelbaren individuellen und internalisierbaren Nutzen wie z.B. regional und saisonal einkaufen und ernähren werden immer akzeptierter. Auch Nachhaltigkeit als Option zur Positionierung von Destinationen und Betrieben ist möglich, doch braucht es Tatbeweise.

Wegen Einschränkungen im Mobilitätsverhalten und insbesondere bei den Flugreisen konnte der touristische Beitrag zum Klimawandel mittelfristig reduziert werden, doch ohne Begleitmassnahmen kann nicht von einer langfristigen Reduktion ausgegangen werden.